Rockabilly-Szene weltweit

Sowohl in Europa, Asien und den USA sind Anhänger der modernen Rockabilly-Szene vertreten. Am stärksten zeigt sich die Bewegung jedoch in West-Europa und Japan. In den USA teilen zwar auch einige Rockabillies die Begeisterung für Musik und Stil der alten Zeiten, aber vor allem in Großbritannien und auch in Deutschland konnten sich bereits sowohl zahlreiche Festivals als auch Special-Interest-Zeitschriften des Genres etablieren.

Rockabilly-Szene in Japan

Entstanden ist die Rockabilly-Szene in Japan Ende der 50er Jahre durch den Einfluss der US-Amerikaner. Japanische Country-Musiker traten in den Stützpunkten der us-amerikanischen Armee auf und so entwickelte sich ein reger Austausch der Kulturen, der sich positiv auf die musikalische Bewegung in dem ostasiatischen Staat auswirkte. Mit der Zeit brachten die Country- und Rockabilly-Musiker die amerikanische Pop-Kultur auch ihren Landsleuten näher und gaben vor allem in Tokioer Coffe Shops und Jazz Cafés, den sogenannten Jazz Kissa, Konzerte. Eines dieser Jazz Cafés, das Jazz Kissa Tennessee, verhalf der Rockabilly-Bewegung in Japan zum Durchbruch. Die Inhaberin Misa Watanabe, Tochter eines Talent-Managers, entdeckte in der westlichen Musik ein großes Potenzial und förderte die japanischen Sänger, indem sie im Februar 1958 in Tokios Nihon Gekijyo Theater das Konzert Western Carnival organisierte, bei dem 60 Künstler der Szene auftraten. Die bekanntesten Rokabiri (Bezeichnung für die japanischen Rockabillies) dieser Zeit waren Masaaki Hirao, Keijiro Yamashita und Mickey Curtis.

Das Event sprach vor allem japanische Jugendliche an, die sich zunehmend zu sogenannten rokubirizoku (Rockabilly Gangs) zusammenschlossen. Die neue Jugendkultur stand bald im Fokus der japanischen Polizei und lokaler Obrigkeiten und wurde für eine neue Jugendkriminalität verantwortlich gemacht, denn einige der jungen Erwachsenen begannen, von der Schule fern zu bleiben und eine subversive Einstellung zu entwickeln. Trotz der Wahl des pro-amerikanischen Politikers Nobusuke Kishi zum japanischen Premier-Minister, die massive Proteste von radikalen Studenten hervorrief, verebbte die Rockabilly-Bewegung zunächst wieder. Trotzdem nahm sie starken Einfluss auf die musikalische und gesamtkulturelle Entwicklung Japans in den 60er Jahren. Das Western Carnival wurde sogar noch bis 1981 regelmäßig veranstaltet.

Historische Einordnung der Bewegung

Grund für die schnelle Entwicklung und den genauso schnellen Untergang der Rockabilly-Bewegung Mitte des 20. Jahrhunderts lag an der historischen Situation Japans. Im zweiten Weltkrieg, in dem Japan als Verbündeter Deutschlands agierte um Rohstoffe und Territorium zu sichern, hatten auch der ostasiatische Staat und seine Einwohner schwer zu tragen. Gegen Ende des Krieges erlitt Japan schwere Angriffe durch die Aliierten, darunter die zwei Atombombenabwürfe auf Nagasaki und Hiroshima. Kurz darauf kapitulierte Japan und wurde schließlich von den Aliierten besetzt. Die Besatzung der japanischen Hauptinseln lag zum größten Teil in amerikanischer Hand.

Nach Kriegsende musste sich die japanische Gesellschaft in allen Belangen von der schweren Zerstörung erholen. Es herrschten zunächst Starre und Stillstand in Kulturgeschehen und sozialem Leben. Auf der Suche nach einer neuen Ausrichtung waren die Japaner sehr empfänglich für Einflüsse von Außen. Besonders die jungen Erwachsenen, die als Kriegskinder aufgewachsen waren, sagten sich von der älteren Generation los, die in ihren Augen Auslöser für die Zerstörung gewesen waren. Stattdessen begeisterten sich die jungen Japaner schnell für die Amerikaner und deren Lebensweise, die ihnen augenscheinlich Frieden und Ordnung gebracht hatten. So fanden viele Aspekte des amerikanischen Lebens Eingang in die japanische Kultur, auch im Bereich der Musik. Kunst und Musik der jungen Japaner wurden zwar unbestreitbar von den US-Amerikanern beeinflusst, dennoch konnten sie diese auf ihre eigene Art interpretieren und ausdrücken und so zu ihrem ganz eigenen Kulturgut machen. Weil die neue Haltung und Abspaltung von der japanischen Tradition der staatlichen Obrigkeit missfiel, war die Rockabilly-Bewegung in Japan jedoch schnell zum Untergang verurteilt. Nach Diskussionen und Auseinandersetzungen wurde die amerikanisch geprägte Rockabilly-Musik aus dem japanischen Radio und darauffolgend aus dem ganzen kulturellem Geschehen wieder verbannt.

Rockabilly in Japan heute

Erst im neuen Jahrtausend entdeckte die japanische Jugend Rockabilly wieder für sich. Einen großen Teil trug dazu der 2005 veröffentlichte Film Always Sanchōme no Yūhi (engl. Always: Sunset on Third Street) von Takashi Yamazaki bei. Der Film basierte auf einer gut bekannten Manga-Serie, die im Tokio der Nachkriegszeit spielt. Die Handlung erzählt vom Leben verschiedener Charaktere und romantisiert zu einem gewissen Grad das Tokio der 50er Jahre. Always Sanchōme no Yūhi erhielt diverse Auszeichnungen und lieferte den Ausgangspunkt für ein beliebtes japanisches Filmgenre der folgenden Jahre. Mit der populär werdenden Nostalgie für die 50er Jahre erlebten auch die Musik und Mode des Rockabilly ein Revival in der japanischen Subkultur.

Noch heute bildet Tokio das Zentrum der japanischen Rockabilly-Szene. Junge japanische Rockabillies treffen sich regelmäßig zum Feiern und Tanzen im Tokioer Yoyogi Park. Der deutsche Fotograf Paul Müller-Rode entdeckte auf seiner Japan-Reise 2009 die junge Rockabilly-Szene in der Hauptstadt und sammelte in seinem Fotoprojekt Tokio Rockabilly Club Motive der subkulturellen Bewegung. Mithilfe von Crowdfunding suchte Müller-Rode Spenden für die Veröffentlichung eines Bildbandes mit diesen Rockabilly-Fotos.

 

Links zum Fotobuch von Paul Müller-Rode

 

Quellen

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